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Seit zehn Jahren steigt die globale Durchschnittstemperatur nicht weiter an. Die Klimatologen rätseln darüber, wie sich dieser Trend erklären lässt. Liegt es an den fehlenden Sonnenflecken? Oder an ungewöhnlichen Meeresströmungen?
Zumindest in Kopenhagen könnte das Wetter mitspielen. Das Dänische Meteorologische Institut prognostiziert für die Klimakonferenz im Dezember Temperaturen, die ein Grad über dem langjährigen Durchschnitt liegen.
Ansonsten aber ist es mit der globalen Erwärmung derzeit nicht weit her. Die Durchschnittstemperaturen auf der Erde steigen seit Anfang des Jahrtausends nicht mehr weiter an. Und auch in diesem Jahr sieht es nach Stillstand aus.
Ins Stocken geraten ist der Klimawandel ausgerechnet im Vorfeld jenes Weltgipfels in der dänischen Hauptstadt, auf dem Tausende Politiker, Beamte, Wissenschaftler, Wirtschaftsbosse und Umweltaktivisten über eine Verringerung der Treibhausgase verhandeln wollen. Um viele Milliarden Euro soll gefeilscht werden.
Fast 30 Jahre lang stieg die Fieberkurve des Planeten steil an: von den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts bis Ende der neunziger Jahre um gemittelte 0,7 Grad Celsius. "Derzeit allerdings hat die Erwärmung eine Pause eingelegt", bestätigt der Meteorologe Mojib Latif vom Kieler Leibniz-Institut für Meereswissenschaften, einer der bekanntesten Klimaforscher Deutschlands. Mit Blick auf die Temperaturkurve spricht er von einem "Plateau", einer Stagnation auf hohem Niveau: "Da ist nichts dran zu deuteln, dem müssen wir uns stellen."
Zwar ändert der Temperaturstillstand wahrscheinlich nichts an dem langfristigen Erwärmungstrend; dennoch nährt er Zweifel an der Vorhersagekraft der Klimamodelle - und ist ein Politikum. Seit Monaten weiden sich Klimaskeptiker in ihren Internetforen an dem Befund. Viele Klimaforscher behandeln die Temperaturdaten deshalb in der Öffentlichkeit so verschämt wie Teenager einen Knutschfleck - und schaden so ihrer eigenen Glaubwürdigkeit.
"Es ist nicht zu leugnen, dass dies in unserer Gemeinde eins der heißesten Themen ist", sagt Jochem Marotzke, Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. Der Klimamodellierer gibt offen zu: "Wir wissen nicht so recht, warum sich diese Stagnation gerade abspielt."
Erst vor wenigen Wochen hat das britische Hadley-Zentrum für Klimawandel die Aufregung mit seinen neuesten Berechnungen zur globalen Durchschnittstemperatur angefacht: Von 1999 bis 2008 hat sich die Welt demnach nur um 0,07 Grad Celsius erwärmt - und nicht um jene 0,2 Grad Celsius, von der noch der Uno-Weltklimarat IPCC ausgeht. Rechne man zudem die beiden natürlichen Klimaereignisse El Niño und La Niña heraus, so ergebe sich sogar nur ein Temperaturtrend von 0,0 Grad Celsius, konstatieren die britischen Experten - also Stillstand.
Die Unterschiede zwischen einzelnen Weltregionen sind dabei beträchtlich: Die Arktis etwa verzeichnete einen Anstieg von fast drei Grad Celsius, was zu einem dramatischen Abschmelzen des Meereises führte. Doch zugleich kühlten sich weite Gebiete Nordamerikas, im westlichen Pazifik und auf der Arabischen Halbinsel ab. Europa, also auch Deutschland, liegt weiterhin leicht im Plus-Bereich (siehe Grafik).
Doch einige Forscher wollen die britischen Berechnungen partout nicht wahrhaben. "Die Erwärmung ist in den letzten Jahren weitergegangen", behauptet Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) trotzig. Mit dieser Ansicht steht er allerdings weitgehend allein. Der Hamburger Max-Planck-Forscher Marotzke hält dagegen: "Ich kenne keinen seriösen Kollegen, der leugnen würde, dass es in den letzten Jahren nicht mehr wärmer geworden ist."
Für das Laienpublikum sind all das verwirrende Botschaften: Warum wird so heftig über den Klimawandel gestritten, obwohl es momentan gar nicht wärmer wird? Und wie kann es sein, dass es unter den Forschern offenbar noch nicht einmal einen Konsens über die Entwicklung der Temperaturen gibt, obwohl diese doch ständig gemessen werden?
517 Wetterstationen umfasst das globale Netzwerk. Doch jede Messung ist nur ein kleiner Punkt auf der großen Weltkarte und muss mit Supercomputern für eine ganze Region hochgerechnet werden. Außerdem gibt es noch immer viele blinde Flecken. Der größte davon ist die Arktis, wo es auf einer riesigen Fläche nur rund 20 Messstationen gibt; Klimatologen sprechen von dem "Arktis-Loch".
Die Forscher des Hadley-Zentrums hätten für das Loch einfach den globalen Durchschnittswert eingesetzt und damit ignoriert, dass es in der Arktis bedeutend wärmer geworden sei, kritisiert Rahmstorf. Doch eine Nasa-Arbeitsgruppe vom Goddard Institute for Space Studies in New York, das den Sonderfall Arktis im Sinne von Rahmstorf berücksichtigt, kommt für die vergangenen fünf Jahre auf eine ähnlich flache Temperaturkurve wie die britischen Kollegen. Marotzke urteilt deshalb, Rahmstorf habe es "argumentativ aus der Kurve getragen".
Marotzke und auch Latif halten die von Forschern wie Rahmstorf betriebene Schwarzrechnerei sogar für kontraproduktiv. "Wir müssen der Öffentlichkeit erklären, dass die Temperaturen durch die Treibhausgase nicht von einem Rekord zum anderen eilen, sondern natürlichen Schwankungen unterliegen", sagt Latif. Gefährlich sei es auch, einzelne Wetterereignisse wie eine Dürreperiode in Mali oder einen Hurrikan als Beispiele für den bereits voll zuschlagenden Klimawandel zu sehen.
Latif: "Wir haben in der Vergangenheit vielleicht zu stark suggeriert, dass die Entwicklung in einer einfachen, geraden Linie immer weiter nach oben führt. Tatsächlich sind Phasen der Stagnation oder gar Abkühlung ganz normal."
Klimatologen zeichnen mit ihren Computermodellen eine Kurve, deren Endpunkt weit in der Zukunft liegt: Bis zum Ende des Jahrhunderts, so die Prognose, wird die globale Durchschnittstemperatur um rund drei Grad Celsius ansteigen - es sei denn, es gelingt eine drastische Verringerung der Treibhausgase. Wie hingegen das Weltklima im Jahr 2015, 2030 oder 2050 aussehen wird, weiß niemand so genau.
Denn neben dem menschlichen Einfluss verändern auch natürliche Faktoren das Klimageschehen auf der Erde: Die Strömungen der Weltmeere unterliegen bestimmten Zyklen, ebenso die Aktivität der Sonne. Auch große Vulkanausbrüche können den Temperaturanstieg mittelfristig dämpfen. Der Ausbruch des Pinatubo im Juni 1991 etwa ließ die Welttemperatur um 0,5 Grad Celsius fallen. So verlängerte die Eruption eine kühlere Klimaphase, die Ende der achtziger Jahre begann.
Doch der Pinatubo-Ausbruch ist schon zu lange her. Welcher Faktor also steckt hinter der derzeit lahmenden Erwärmung?
Tatsache ist: Die Sonne schwächelt. Ihre Strahlungsaktivität befindet sich momentan auf einem Minimum - was auch an der geringen Zahl der Sonnenflecken auf ihrer Oberfläche abzulesen ist. Nach der Berechnung von Nasa-Forschern um David Rind, die kürzlich in den "Geophysical Research Letters" veröffentlicht wurde, ist die verringerte Solaraktivität die wichtigste Ursache für die stagnierende Erwärmung.
Ozean-Experte Latif hingegen tippt eher auf die "Pazifische Dekaden-Oszillation". Dieses Strömungsphänomen im Pazifik lässt vermehrt kaltes Tiefenwasser am Äquator aufsteigen. Die kühlende Wirkung auf die Erdatmosphäre sei beträchtlich.
Mit seinem Team am Leibniz-Institut für Meereswissenschaften hat Latif als einer der Ersten ein Modell erarbeitet, um mittelfristige Prognosen für die nächsten fünf bis zehn Jahre zu erstellen. "Wir trauen uns da erst allmählich ran", sagt MPI-Experte Marotzke, der dazu ebenfalls ein großangelegtes, vom Bundesforschungsministerium finanziertes Projekt startet.
Einigkeit herrscht unter den Forschern indes darüber, dass es langfristig mit den Temperaturen wahrscheinlich weiter nach oben gehen wird. Die Preisfrage ist nur: Wann wird es wieder wärmer?
Wenn das pazifische Tiefenwasser tatsächlich der wichtigste Bremsfaktor sein sollte, wird der Klimawandel noch bis Mitte des kommenden Jahrzehnts pausieren, behauptet Latif. Ist es hingegen vor allem die Sonne, die kühlt, könnte es schneller wieder wärmer werden; denn nach allen bisherigen Erfahrungen müsste die Solaraktivität schon in den kommenden Jahren wieder zunehmen.
"Und das könnte mit einem regelrechten Ruck gehen", sagt Hadley-Klimatologe Adam Scaife. Denn zu der natürlichen zyklischen Erwärmung käme dann auch noch diejenige durch den vom Menschen gemachten Treibhauseffekt hinzu.
Nicht nur auf Kongressen streiten die Klimaforscher leidenschaftlich darüber, wann die Temperaturen wieder steigen werden. Sogar Wetten werden ausgelobt, wie es mit der Erwärmung weitergeht.
Rahmstorf ist sich so sicher, mit seinen Vorhersagen am Ende recht zu behalten, dass er 2500 Euro darauf wettet. "Ich werde gewinnen", verkündet der düstere Prophet aus Potsdam.
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