Die schmelzenden Eisberge in der Antarktis bremsen die globale Erwärmung: Sie lassen Algen blühen, die Treibhausgas aus der Luft filtern.
Der Fang war kalt und leblos, kein einziger Fisch zappelte im Netz. Nur ein dumpfes Knarzen gab die Beute von sich, als sie auf dem Deck der HMS "Endurance" aufsetzte.
Die Polarforscher machten sich im südlichen Atlantik mit Vorschlaghämmern an die Arbeit. Sie zertrümmerten den über zehn Meter großen Block aus Eis, bis sie tief genug in sein Inneres vorgedrungen waren. Dort machten sie eine aufregende Entdeckung.
Im Rasterelektronenmikroskop wurden winzige Eisenpartikel sichtbar. "Die Teilchen messen zwar nur den Bruchteil eines Millimeters", sagt Teamleiter Rob Raiswell, "aber für das Weltklima haben sie eine große Bedeutung."
Der Geochemiker der Universität von Leeds war mit dem britischen Marineeisbrecher aufgebrochen, um einer Hypothese nachzugehen, die schon lange unter Polarforschern zirkuliert: Demnach transportieren Eisberge feinste Eisenpartikel in ihrem gefrorenen Leib; und wenn die Kolosse langsam auftauen, entlassen sie diese Fracht in den Südozean.
Dort, so die Vermutung, entfalten die Nanoteilchen eine wundersame Wirkung: Sie lassen die kalten Gestade rund um die Antarktis erblühen. Denn das Meer um den Eispanzer des Südens ist voller Nährstoffe wie Stickstoff. Nur an einem Element mangelt es dem Plankton jedoch zum Wachsen: Eisen. Die einzige nachgewiesene Quelle war bislang der Wind. Er weht das dringend benötigte Eisenoxid und andere Metalloxide aus den staubigen Wüsten der Südkontinente herbei - allerdings nur in sehr geringen Mengen.
"Zum ersten Mal ist es uns nun gelungen, den Spurenstoff in den Eisbergen nachzuweisen", freut sich Raiswell. Dank ihrer Entdeckung sind die Wissenschaftler vor der Antarktischen Halbinsel auf einen mächtigen Mechanismus gestoßen, der sich seit Millionen Jahren unter der Gischt abspielt: Eisberge düngen mit eisenhaltigen Nanopartikeln das südpolare Meer. Die sprießenden Algen wiederum entziehen der Erdatmosphäre per Photosynthese das Treibhausgas Kohlendioxid und sinken schließlich zu einem Teil in die Tiefsee.
"Auf diese Weise verlangsamen sie die Klimaerwärmung", sagt Raiswell. Der Geochemiker hat bereits die Menge an Kohlendioxid grob abgeschätzt, die durch die Eisbergdüngung entsorgt wird: Rund 120.000 Tonnen Eisen schütten die Eisberge derzeit ins Polarmeer und sorgen dafür, dass 2,6 Milliarden Tonnen CO2 aus der Atmosphäre verschwinden.
Eisbrecher HMS "Endurance" in der Antarktis: "Die Erde scheint uns retten zu wollen"
Diese gewaltige Menge entspricht sämtlichen Treibhausgasen, die in Indien und Japan aus Kraftwerksschloten, Hauskaminen und Autoauspuffen quillen. "Die Erde scheint uns selbst retten zu wollen", sagt Raiswell, der das Potential dieses Selbstheilungsprozesses für "signifikant" hält, allerdings "in keiner Weise für ausreichend", um die Erwärmung zu stoppen.
Der Effekt wird sich nach seinen Berechnungen in den kommenden Jahrzehnten noch verstärken. Wegen steigender Temperaturen bricht mehr Eis ab, insbesondere an der Antarktischen Halbinsel, die sich mit einem Plus von 2,5 Grad Celsius in den vergangenen 50 Jahren besonders schnell erwärmt hat. Mit jedem Prozent Eisbergmasse mehr, die abbricht, würden 26 Millionen Tonnen CO2 zusätzlich beseitigt.
In größerem Tempo als je zuvor wälzen sich die Eismassen aus dem Innern des Kontinents über dessen steinigen Untergrund. Dabei lösen sie aus dem Fels der Eiswüste Oxide wie Schwertmannit, deren Eisen dann die Algen im Ozean noch stärker sprießen lässt.
Doch durch die natürliche Eisendüngung wird nicht einmal annähernd das Potential ausgeschöpft, das der nährstoffreiche, aber eisenarme Südozean als Kohlendioxidsenke bietet. 50 Millionen Quadratkilometer ist das Gebiet groß, das unter Eisenmangel leidet. Würde man die Gesamtfläche künstlich mit einigen Millionen Tonnen Eisenoxid düngen, so könnten pro Jahr dreieinhalb Gigatonnen Kohlendioxid im Ozean entsorgt werden - also ein Achtel des jährlichen Ausstoßes durch die Verbrennung von Öl, Gas und Kohle.
Unter Wissenschaftlern und Ökounternehmern gibt es daher schon seit längerem den Plan, das Meer vor der Antarktis mit Eisensulfat aus großen Tankern zu düngen. Das Vorhaben ist umstritten: Umweltschützer fürchten, das Ökosystem gerate durch ein solches Geo-Engineering aus dem Gleichgewicht. Die amerikanische Ozeanografin Mary Silver prophezeit gar, giftige Algen könnten sich stark vermehren. Die Uno-Konferenz zur Artenvielfalt im Mai 2008 forderte deshalb ein Moratorium für solche Vorhaben, zumindest bis mehr wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen.
Die Wissenslücken bei der künstlichen Eisendüngung zu schließen, das ist jetzt das Ziel eines einzigartigen Experiments. Anfang Januar legt der deutsche Forschungseisbrecher "Polarstern" von Kapstadt mit Ziel Antarktis ab. An Bord befinden sich Fahrtleiter Victor Smetacek vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) sowie ein indischdeutsches Team aus 49 Leuten.
Sie wollen eine künstliche Planktonblüte nördlich der Insel Südgeorgien erschaffen, mit einigen Tonnen Eisensulfat. "Es wird die größte bislang erzeugte Blüte sein", sagt Smetacek. So groß, dass sie mit speziellen Satelliten aus dem All beobachtet werden kann und die großen Krillschwärme des Südens anlocken wird.
Endlager in der Tiefsee: Gebiete mit niedriger Eisenkonzentration
Mit hohem messtechnischem Aufwand will der Forscher untersuchen, wie viele Algen tatsächlich in die Tiefen des Ozeans sinken. Dabei zielt er auf eine besondere Sorte von Küstenalgen ab. Deren Sporen sind von einer harten Siliziumdioxid-Schale umgeben. Wenn diese Sporen mitsamt dem Kohlendioxid, das in ihrem organischen Innern eingebaut wurde, absinken, können auch Fischmägen sie kaum zersetzen. "Da ist das Treibhausgas sicher auf einige hundert Jahre aus der Erdatmosphäre raus", erklärt Smetacek.
Der AWI-Forscher schlägt bereits die Einrichtung einer eigenen Behörde bei den Vereinten Nationen vor, die künftige Eisendüngungsprojekte zur Rettung des Klimas überwachen soll. Der Industrie, die sich mit einem Tanker voll Eisensulfat aus ihrer Klimaschuld freikaufen könnte, will Smetacek das Düngen des Südozeans nicht überlassen: "Die Angelegenheit ist zu komplex, als dass sie nicht von Wissenschaftlern begleitet werden müsste."
Den Kritikern, die mitunter von Planetenklempnerei sprechen, hält der Meeresbiologe entgegen: "Ihre Einwände werden weggefegt, wenn unsere Ohnmacht gegenüber dem Klimawandel sichtbar wird."
Von Gerald Traufetter - copyright SPIEGEL ONLINE